Reisebüros haben keine Zukunft

Jan
von Jan
3 Min. Lesezeit
15.08.2018 07:56:00

Solche oder ähnliche Sätze hören wir immer wieder, wenn wir mit der Reisebranche aus Norwegen, Schweden oder Finnland im Gespräch sind. Auf einigen Märkten, wie in Skandinavien, Großbritannien oder den Niederlanden mag diese Prognose in Teilen tatsächlich zutreffen, wenn man bedenkt, dass  dort der stationäre Vertrieb stark zurückgegangen ist (ECTAA). So ist es wenig überraschend, dass die Kollegen in Nordeuropa zu solchen Aussagen tendieren.

Rekordumsätze bei den Reisebüros

Wir als NordicMarketing kennen den deutschsprachigen Markt seit fast 14 Jahren und sehen die Situation der Reisebüros hierzulande sehr viel differenzierter und deren Zukunft deutlich positiver. Wer die Vertriebswege in Deutschland, Schweiz und Österreich kennt, weiß, dass die Anzahl der Reisebüros in den vergangenen Jahren zwar kontinuierlich zurückgegangen ist. Die Umsätze in Deutschland haben jedoch jedes Jahr neue Rekorde erreicht und die Zahl der Vertriebsstellen ist mittlerweile sogar wieder leicht gestiegen, sie beträgt immer noch knapp 10.000 (DRV).

Das beratungsintensive Skandinavien

Wenn es um Städtereisen in die skandinavischen Metropolen geht, buchen heute zahlreiche Kunden ihre Flüge direkt bei den Airlines, die Unterkünfte über diverse Portale, direkt bei den Hotelketten oder aber über Airbnb und das vermehrt zu Konditionen, die unterhalb der Einkaufspreise von Reiseveranstaltern liegen. So verwundert es nicht, dass zahlreiche Veranstalter einfache City Trips nach und nach aus dem Angebot genommen haben.

Für touristische Angebote außerhalb der wenigen Ballungsräume, wie Oslo, Stockholm, Helsinki oder Göteborg, braucht man hingegen tiefere Kenntnisse. Daher konzentrieren sich sowohl die großen Reiseveranstalter als auch kleine Spezialisten auf gewinnbringende Paketreisen

Dazu gehören komplexere PKW-Rundreisen durch Skandinavien mit zahlreichen Geheimtipps, Winterurlaube mit Schneegarantie im fernen Lappland, arktische Erlebnisse im hohen Norden, wie Huskysafaris, Motorschlitten-Touren oder Nordlicht-Abenteuer. Derartige Reisen sind oft weit mehr als "nur" Flug und Hotel und häufig beratungsintensiv.

Beratung im Reisebüro und durch Spezialisten

Wenn es um Beratung geht, dann gehen die Kunden gerne ins Reisebüro (FAZ), wo Expedienten aus einer Vielzahl von Skandinavien-Reisen wählen und dem Verbraucher zur Seite stehen können.

Fins-Tours
(Reiseveranstalter und Reisebüro Fins-Tours bei Bern)

Gleiches gilt für zahlreiche Skandinavien- und Finnland-Spezialisten, wie Glur Reisen, Fins-Tours, Fintouring, Polarkreis Reisen, Nordic Holidays, Club Aktiv/ skandinavientrips, Nordland-Touristik oder Hummel Reiseideen, die ihre Kunden entweder in Ladengeschäften oder telefonisch individuell beraten und sich durch maßgeschneiderte Reisen im Wettbewerb positionieren können.

Die großen Veranstalter setzen auf Reisebüros

Während die großen Veranstalter wie Kontiki in der Schweiz oder Dertour, TUI Wolters und Troll Tours/Neckermann in Deutschland traditionell auf die Reisebüros setzen und der stationäre Vertrieb über Provisionen zwischen 6-14% in Deutschland und sogar bis zu 16% in der Schweiz vergütet wird, ist es für die kleinen Spezialisten zunehmend schwieriger, sich bei den Expedienten mit den oftmals ohnehin unbekannten Skandinavien-Angeboten zu positionieren.

Gleichzeitig bietet das Internet enormes Potential im Direktvertrieb, das gerade bei vielen kleineren Anbietern noch lange nicht ausgeschöpft und häufig noch weit entfernt von einer wirklichen Online-Buchungsmöglichkeit ist.

Hier haben sich Spezialisten im Direktvertrieb wie Berge & Meer sowie zahlreiche Online-Portale, wie Expedia oder Booking.com in den vergangen Jahren positionieren können.

Buchung im Reisebüro oder online?

Während Verbraucher ihre Reisen in zahlreichen Ländern überwiegend online buchen, sind es in Deutschland gerade mal 40% (DRV), wenn auch mit wachsender Tendenz. Etwa 60% buchen ihren Urlaub nach wie vor "offline". Diese Information überrascht unsere Partner und Touristiker im Norden immer wieder.

Dieser stationäre und somit konventionelle Vertrieb über die Reisebüros erfordert weiterhin eine nach wie vor kostenintensive Produktion an gedruckten Katalogen und Reiseprospekten. Auch dieser Aspekt führt in Skandinavien im Zeitalter der Digitalisierung immer wieder zu ungläubigem Staunen oder gar Kopfschütteln.

Unterschiede im Buchungsverhalten

Diese Unterschiede im Buchungsverhalten, die Komplexität des Vertriebs in Mitteleuropa und die damit verbundenen Anforderungen in der Preisgestaltung (Provisionen und Veranstalterpreise) sowie den Verträgen (Kontingente oder garantierte Durchführungen etc.) sind immer auch Bestandteile unserer Schulungen für Touristiker in Nordeuropa.

Zwei grundlegende Ursachen gibt es für dieses Kaufverhalten: eine kulturelle und eine juristische. Während die Skandinavier eine ausgeprägte Tradition der Selbstbedienungs-Kultur pflegen und eben auch weiterentwickeln, bevorzugen Mitteleuropäer häufig die persönliche Beratung.

Skandinavische Selbstbedienungs-Kultur

Ob es die zahlreichen Automaten-Tankstellen sind, die Buffet-Restaurants, die Kneipen, wo man am Tresen bestellt, die Cafés, in denen man den Kaffee selbst eingießt oder aber die Möbelhäuser oder Supermärkte mit den Selbstbedienungs-Kassen, Selbstbedienung hat eine lange Tradition sowie hohe Akzeptanz in Skandinavien. So verwundert es nicht, dass auch das Zusammenstellen und Buchen von Reisen eigenständig vorgenommen wird.

In Deutschland, in der Schweiz sowie in Österreich bevorzugen viele Kunden das Zahlen an der Kasse, die Bedienung in einem Restaurant oder eben den Service in einem Reisebüro.

Preisbindung bei Pauschalreisen

Die zweite Ursache ist die Preisbindung in Deutschland. Anders als in den Nachbarländern erhält der Verbraucher in Deutschland die Pauschalreise eines Veranstalters immer zum gleichen Preis (ZDF), egal ob online oder im Reisebüro gebucht.

Anders formuliert: im Reisebüro bekommt der Verbraucher mehr für sein Geld. Er wird beraten, bedient und bekommt Fragen beantwortet und bei Spezialisten eben auch maßgeschneiderte Angebote und individuelle Reisen zusammengestellt (Süddeutsche Zeitung).

Reisebüros und Spezialisten haben eine Zukunft

Somit gilt für Reisen nach Norwegen, Schweden und Finnland, die oftmals beratungsintensiv sind, dass Kunden gerne und häufig eine individuelle Beratung wünschen und hierfür auch zukünftig ins Reisebüro gehen werden oder sich vom Skandinavien-Spezialisten mit Rat und Tat unterstützen lassen.

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